Am Sonntagmorgen fand eine öffentliche Diskussionsveranstaltung in der Mensa der Von-Zumbusch-Gesamtschule statt. Moderiert von Matthias Träger, stellten sich Bürgermeister Marco Diethelm (CDU) und Herausforderer Roland Stefan (FDP) den Fragen zur bevorstehenden Wahl.
Die Kolpingsfamilien Herzebrock und Clarholz haben mit viel Engagement eine Veranstaltung organisiert, die einen wertvollen Beitrag zur politischen Meinungsbildung in unserer Gemeinde leisten sollte. Ziel war es, den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, die Bürgermeisterkandidaten persönlich zu erleben, ihre Positionen kennenzulernen und Fragen zu stellen, die den Alltag vor Ort betreffen. Doch der Blick in die Reihen des Publikums war ernüchternd: Die Zahl der Besucherinnen und Besucher blieb überschaubar, und unter ihnen fanden sich vor allem Vertreter aus der politischen Gemeinde und einigen örtlichen Vereinen.
Fehlendes Interesse an der Bürgermeisterwahl?
Das wirft Fragen auf. Interessieren sich die Menschen in Herzebrock-Clarholz nicht für die Bürgermeisterwahl? Für die Themen, die sie direkt betreffen – von Verkehr über ärztliche Versorgung bis hin zur Ortsentwicklung? Wir hoffen sehr, dass die geringe Beteiligung nicht Desinteresse bedeutet, sondern schlicht anderen Terminen geschuldet war.
Die Veranstaltung bestand aus vier Teilen: Vorstellung, Themenrunde, Fragerunde und Schnellfragen. Stefan stellte sich als erfahrener Finanzwirt und Ruheständler mit kommunaler Führungserfahrung vor. Diethelm blickte auf zehn Jahre Amtszeit zurück und betonte seine Freude an der Vielfalt des Bürgermeisterberufs.
Für alle, die nicht dabei sein konnten, folgt hier eine ausführliche Zusammenfassung der Diskussionen, Positionen und Impulse – damit die Inhalte nicht ungehört bleiben.
Tempo 30 auf der B64 in den Nachtstunden
Die nächtliche Tempo-30-Regelung auf der B64 sorgte für kontroverse Diskussionen. Laut Gutachten ist der Lärm gesundheitsschädlich, weshalb Straßen.NRW entsprechende Schilder aufgestellt hat. Roland Stefan kritisierte die Maßnahme und stellte klar, dass Einsatzfahrzeuge bei Alarmfahrt Sonderrechte genießen. Er bezweifelte den Nutzen der Regelung und fragte, warum tagsüber keine vergleichbaren Maßnahmen greifen. Marco Diethelm zeigte Verständnis für den Lärmschutz, verwies aber auf praktische Probleme: Feuerwehrkräfte dürfen ohne Blaulicht nur 20 % schneller fahren – bei Tempo 30 also 36 km/h. Das gefährde Einsatzzeiten.
Im Rahmen des Brandschutzbedarfsplanes für den Gemeinderat wird die Verwaltung erarbeiten, ob die Hilfsfristen noch funktionieren oder ob Maßnahmen wie hauptamtliche Feuerwehrkräfte oder eine bewusste Verlängerung der Hinfristen notwendig seien. Er betonte aber, dass die Entscheidung über Tempo 30 nicht bei der Kommune liege.
Ausbau der B64n
Auch der geplante Ausbau der B64n wurde intensiv diskutiert. Stefan zeigte sich zwiegespalten: Er kritisierte den Flächenverbrauch, sah aber langfristige Vorteile für die Lebensqualität und Ortsentwicklung. Er wünscht sich ein verkehrsberuhigtes Herzebrock-Clarholz mit sichereren Straßen und attraktiveren Ortskernen. Diethelm kritisierte die fehlende Rückmeldung von Bund und Land auf kommunale Anliegen und warnte vor falschen Erwartungen. Die Gemeinde habe keinen Einfluss mehr auf die Planung, da das Verfahren laufe. Nach der Bürgerumfrage setzt sich Marco Diethelm im Sinne der Bürgerumfrage und des Ratsbeschlusses gegen den Bau ein. Er forderte klare Kommunikation und ehrliches Erwartungsmanagement, um Politikverdrossenheit vorzubeugen.
Ärztemangel
Ein zentrales Thema war der Ärztemangel in Herzebrock-Clarholz. Moderator Matthias Träger machte deutlich, dass Neupatienten kaum noch aufgenommen werden und laut Kassenärztlicher Vereinigung eine Unterversorgung droht.
Roland Stefan verfolgt die Idee ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das jungen Ärzten moderne Bedingungen bietet und ihnen die Selbstständigkeit erspart. Erste Investoren hätten Interesse bekundet, nun liege die Entscheidung bei Verwaltung und Politik.
Marco Diethelm erklärte, dass es bisher nur Überlegungen gebe. Seine Haltung zur Förderung habe sich nach dem Verlust zweier Ärztinnen geändert. Heute stehen pro Kassenarztsitz rund 135.000 € Fördermittel zur Verfügung. Er betonte, dass viele Ärzte lieber angestellt arbeiten und ein MVZ daher sinnvoll sei. Die Gemeinde prüfe aktuell ein kommunales Modell, unterstützt durch Berechnungen der KVWL.
Abschließend betonte Diethelm, dass die Versorgungslage ernst sei, aber lösbar – vorausgesetzt, Politik und Wirtschaft stimmen zu. Ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), ob privat oder kommunal, könne helfen, die hausärztliche Versorgung langfristig zu sichern. Fachärztliche Versorgung sei hingegen durch die Kassenärztliche Versorgung kaum möglich, da Herzebrock-Clarholz als Unterzentrum gilt. Zwar könnten sich Fachärzte grundsätzlich ansiedeln, dies jedoch ausschließlich auf privater Rechnung – eine Abrechnung über die gesetzliche Krankenversicherung wäre nicht zulässig. Roland Stefan ergänzte: „Ich denke mal, wir werden alle über alle Parteigrenzen hinweg mit dem Thema arbeiten, zielorientiert. Und dann werden wir auch eine Lösung finden.“
Wie schön ist Herzebrock-Clarholz?
Ein Thema der Veranstaltung war die Attraktivität der Ortszentren. Moderator Matthias Träger verkündete, dass die Gemeinde fast 7 Millionen Euro Fördermittel erhält – unter anderem für das neue Rathaus, den Bürgersaal und das Klostergelände in Herzebrock.
Marco Diethelm begrüßte die Förderung, verwies auf bereits umgesetzte Projekte in Clarholz und kündigte an, dass nach Abschluss laufender Maßnahmen dort wieder investiert werden solle. Die begrenzte Flächenverfügbarkeit in Clarholz erschwere jedoch größere Vorhaben.
Roland Stefan lobte den Paul-Craemer-Platz, sah aber in Clarholz deutlichen Nachholbedarf. Besonders die Holzhofstraße biete wenig Aufenthaltsqualität. Konkrete Pläne habe er noch nicht, sehe aber Potenzial für neue Ideen durch externe Architekten.
Diethelm betonte, dass die Gemeinde mit dem ISEK bereits zahlreiche Maßnahmen vorbereitet habe. Um dem Rückgang des Einzelhandels entgegenzuwirken, müsse die Aufenthaltsqualität gesteigert werden.
Beide Kandidaten waren sich einig: Herzebrock und Clarholz sollen lebendige, lebenswerte Orte bleiben – mit unterschiedlichen Wegen, aber einem gemeinsamen Ziel.
Einzelhandel
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Zukunft des Einzelhandels und der Bürokratieabbau in Herzebrock-Clarholz. Roland Stefan betonte, wie wichtig es sei, den lokalen Handel zu unterstützen – wer online kaufe, dürfe sich nicht über das Verschwinden der Geschäfte beklagen. Marco Diethelm stimmte zu und verwies darauf die Aufenthaltsqualität in Herzebrock ein „bisschen“ zu verbessern, um der Veränderung entgegen zu wirken.
Beim Thema Bürokratie kritisierte Stefan die zunehmende Komplexität einfacher Verwaltungsprozesse, etwa bei der Beantragung von Bauakten. Auch die geplante Einführung eines Chatbots sah er skeptisch – der direkte Kontakt zu Mitarbeitenden dürfe nicht verloren gehen. Diethelm verteidigte die Digitalisierung als sinnvolle Ergänzung, die Prozesse beschleunige und rund um die Uhr erreichbar mache. Persönlicher Kontakt bleibe weiterhin möglich. Er betonte, dass die Verwaltung alle Bürger bedienen müsse – auch jene ohne digitale Zugänge – und arbeite daher an vereinfachten, modernen Lösungen.
Die Diskussion machte deutlich: Stefan setzt auf persönliche Nähe und einfache Abläufe, Diethelm auf digitale Ergänzungen und Effizienz – beide mit dem Ziel, den Service für die Bürger zu verbessern.
Haushaltslage als letztes Thema
Zum Abschluss der Diskussionsrunde ging es um die finanzielle Situation der Gemeinde Herzebrock-Clarholz. Moderator Matthias Träger fragte nach der Einschätzung zur Haushaltslage – ein Thema, das beide Kandidaten mit Ernst und Detailtiefe behandelten.
Marco Diethelm betonte zunächst, dass die Gemeinde in den letzten Jahren solide gewirtschaftet habe. Die Rücklage sei von 15 auf 19 Millionen Euro gestiegen, der Haushalt 2024 sei beschlossen. Dennoch zeichne sich ein drastischer Wandel ab: Ab dem kommenden Jahr drohe ein jährliches Defizit von rund 9 Millionen Euro. Hauptursachen seien externe Faktoren wie gestiegene soziale Umlagen, Wohngeld, Bürgergeld und die wirtschaftliche Stagnation. Allein die Umlagen seien in diesem Jahr um 4 Millionen Euro gestiegen – deutlich mehr als die gesamten freiwilligen Leistungen der Gemeinde, die bei 2,3 Millionen Euro liegen.
Diethelm machte deutlich, dass Einsparungen allein das Problem nicht lösen könnten. Maßnahmen wie die Schließung von Hallen oder Kürzungen bei Kindergartenzuschüssen seien zwar theoretisch möglich, aber gesellschaftlich kaum vertretbar. Er forderte Bund und Land auf, gegenzusteuern, und nannte drei Wege zur Einnahmensteigerung ohne Steuererhöhungen: Gewerbeansiedlung, Stärkung des Einzelhandels und gezielte Fördermittelakquise.
Roland Stefan stimmte grundsätzlich zu, kritisierte jedoch die Ausgabenpolitik der Vergangenheit. Als Beispiel nannte er die nördliche Entlastungsstraße, bei der seiner Ansicht nach viel Geld „verbrannt“ worden sei. Auch bei den freiwilligen Leistungen sehe er Einsparpotenzial, wenn auch begrenzt. Stefan forderte, dass der Bürgermeister beim Landrat aktiv werde, um eine Senkung der Kreisumlage zu erwirken.
Beide Kandidaten zeigten sich realistisch: Die Haushaltslage ist angespannt, die Herausforderungen groß. Während Diethelm auf strukturelle Lösungen und Fördermittel setzt, mahnt Stefan zur kritischen Reflexion vergangener Investitionen und zur stärkeren Einflussnahme auf übergeordnete Ebenen.
Offene Fragerunde
In der offenen Fragerunde hatten die Besucherinnen und Besucher Gelegenheit, ihre Anliegen direkt an die Kandidaten zu richten. Die abschließende Schnellfragerunde mit fünf spontanen Fragen des Moderators sorgte für einen lockeren Ausklang und gab den Gästen einen weiteren persönlichen Eindruck der Kandidaten.
Die Diskussion war erfreulich sachlich und konstruktiv – ein wohltuender Kontrast zu den oft zugespitzten Debatten in Wahlkampfzeiten, in denen nüchterne Argumente nicht immer selbstverständlich sind. Wir sind auf die Wahlergebnisse in einer Woche gespannt.