Von wegen sprachlos! - Kreatives Schreibprojekt für Menschen mit Demenz – mit Lesung in Herzebrock-Clarholz | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Im VKA St. Josef fand ein besonderes Schreibprojekt für Menschen mit Demenz statt. Die kreative Lesung zeigte eindrucksvoll ihr poetisches Potenzial. Mehr über „Von wegen sprachlos!“ jetzt auf Herzeblog.de nachlesen.

Von wegen sprachlos! - Kreatives Schreibprojekt für Menschen mit Demenz – mit Lesung in Herzebrock-Clarholz

Kreatives Schreiben als Brücke zur Sprache und zur Erinnerung

Im August und September 2025 fand im VKA St. Josef Pflege + Wohnen Herzebrock-Clarholz ein außergewöhnliches Schreibprojekt statt. Sieben Bewohner*innen der Einrichtung nahmen an dem kreativen Angebot teil, das vom Bielefelder Verein Die Wortfinder e.V. unter der Leitung von Sabine Feldwieser durchgeführt wurde. Ziel war es, Menschen mit demenzieller Erkrankung einen neuen Zugang zur Sprache zu eröffnen – jenseits klassischer Therapieformen.

Am gestrigen Abend bildete eine stimmungsvolle Lesung den feierlichen Abschluss des Projekts. In gemütlicher Atmosphäre, bei Sekt und kleinen Snacks, wurden einige der entstandenen Texte einem interessierten Publikum vorgetragen. Die Freude und der Stolz der Autor*innen waren spürbar – eine Teilnehmerin brachte es auf den Punkt: „Können wir nochmal machen, das war gut.“

Kreatives Schreiben trotz Demenz

Das Projekt „Von wegen sprachlos!“ wurde vom Verein Die Wortfinder e.V. ins Leben gerufen und von der Hörmann KG unterstützt. Es richtet sich gezielt an Menschen mit Demenz, deren sprachliche Fähigkeiten sich im Verlauf der Erkrankung verändern. Statt diese Veränderungen als Defizit zu betrachten, würdigt das Projekt das kreative und poetische Potenzial der Teilnehmenden.

In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung – Tendenz steigend. Bis 2050 wird mit bis zu 2,8 Millionen Betroffenen gerechnet. Umso wichtiger sind Angebote, die Kommunikation fördern und Selbstwirksamkeit stärken.

Worte, Bilder, Geschichten

Im VKA St. Josef wurde an vier Terminen im August und September geschrieben, gemalt und erzählt. Die Themen reichten von „Freude“ bis hin zu kleinen Farbklecksen, aus denen mit wenigen Strichen Bilder entstanden, zu denen dann Geschichten verfasst wurden. Die Teilnehmenden konnten ihre Gedanken selbst aufschreiben oder diktieren – einzeln oder in Kleingruppen.

Initiiert wurde das Projekt von Sabrina Eustergerling vom Sozialen Dienst der Einrichtung. Sie war auf der Suche nach einem kreativen Angebot für Menschen mit Demenz und stieß auf Die Wortfinder. Nach einer kurzen Anfrage nahm das Projekt schnell Gestalt an.

Geschichten, die bleiben

Alle Teilnehmenden erhielten eine eigene Ausgabe ihrer Texte – ein wertvolles Erinnerungsstück und ein Zeichen der Wertschätzung. Projektleiterin Sabine Feldwieser, die den Verein 2010 gründete, hat in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche Projekte mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen umgesetzt und über 20 Bücher und Kalender veröffentlicht. Ihre Arbeit wurde 2023 mit dem Kulturpreis ausgezeichnet.

Mit dem Projekt „Von wegen sprachlos!“ möchte sie nun auch im Bereich Demenz eine kreative Bewegung anstoßen – mit dem Ziel, dass die Stimmen der Betroffenen gehört und ihre Worte bewahrt werden.

Der Verein freut sich über Unterstützung. Unterstützen lässt sich die Arbeit von Die Wortfinder e.V., indem dem Verein eine Spende zukommen gelassen wird. Alle Spenden kommen den geplanten Projekten zugute.

Bankverbindung: Volksbank Bielefeld-Gütersloh eG
IBAN: DE02 4786 0125 0754 5214 00 BIC: GENODEM1GTL

Hier findet ihr nun einige Ergebnisse aus dem Projekt, die uns besonders berührt haben, es sind aber so viel mehr Texte mit so viel Erinnerungen und Emotionen entstanden:

Jung und alt

von Juliane Birwe, Annetraud Frerich und Hildegard Langenstroer

Wenn man jung ist, kann man hüpfen.
Wenn man alt ist ... Na ja, da geht man langsam.
Wenn man alt ist, kann man viel sitzen.
Wenn man alt ist, muss man oft besonders Luft holen.
Wenn man alt ist, läuft manchmal die Nase.
Wenn man alt ist, braucht man ne Brille.
Wenn man jung ist, ist man anders unterwegs.
Wenn man alt ist, hat man graue Haare.
Wenn man alt ist, hört man schlecht, man braucht Hörgeräte.
Wenn man jung ist, ist man mehr unterwegs.
Wenn man alt ist, freut man sich über Enkelkinder.
Wenn man alt ist, kann man auch hüpfen.
Junge und alte Menschen können stricken oder häkeln.
Junge und alte Menschen können gut kochen.
Omas können gut kochen.
Opas rauchen gerne eine Zigarette oder Pfeife oder so.
Opas lassen sich gerne bedienen.
Opas trinken gerne ein Bierchen.
Opas flunkern gerne.

Schön ist die Jugend, es kommt nichts mehr.

Das Spiel mit dem Schwein oder So eine Sauerei!

von Juliane Birwe, Annetraud Frerich und Hildegard Langenstroer

Das Schwein schweigt.
Es ist krank.
Das hat was Falsches gefressen.
Erde.

Es war ausgerissen.
Es wollte auf den Hof mit den Kindern spielen.
Mensch ärgere dich nicht.
Das klappte so gar nicht.
Der Bauer fand das blöd.
Der hat nicht mitgespielt, der war raus.

Die Kinder fütterten das Schwein.
Sie holten Runkeln und Möhren.

Das Schwein hat Löcher in den Hof gebuddelt.
Es fand Würmer und Gold.
Dann haben Sie das Schwein gefangen und es ist wieder in den Stall gekommen.
Die Kinder hatten Spaß mit dem Schwein.

Und dann wurde das Schwein ja auch geschlachtet.
Wurst, Leberwurst, Schnitzel und so.

Also hat ein Schwein auch innere Werte.

Vergnügen

von Annetraud Frerich

Liebe mit der Familie
Gartenarbeit
Reden mit Freundinnen
Reisen zur See, zur Nordsee und die Inseln Sylt ...
Spielen mit den Kindern
Akkordeonspiel
Skilaufen
Spaziergang im Wald
Fußball schauen und mit einer Freundin quatschen
Party mit Freunden
Fenster putzen und dabei singen Bügeln mit Musik hören
Kaffeeklatsch

Die Lachtaube

Von Hildegard Langenstroer

In der Schule war ich immer die Lasttaube.
Die hatte immer alles verbrochen.
Ich hab nix verbrochen.
Ich hieß so, weil ich immer so gelacht habe.
Ich konnte über alles lachen.
Wenn der Lehrer uns was gefragt hat, und ich fand das ein bisschen lächerlich, dann hab ich gelacht.
Dann war ich die Lachtaube.
Die anderen Kinder wurden ja erwischt, wenn sie lachten.
Aber ich war ja die Anführerin.
Die Lachtaube.

Rote Bete

Von Gerhard Ormeloh

Rote Beete haben wir auch gehabt.
Wir hatten ja einen Garten hinterm Haus, einen großen Garten.
Den haben wir selbst bearbeitet.
Und dahinter haben wir Kartoffeln gepflanzt, Runkeln, Möhren und sowas.
Ich hab gerne im Garten gearbeitet.
Wir haben nen ziemlich großen Garten gehabt.
Den haben wir auch noch selber verarbeitet.

Und einen Sandkasten hatten wir natürlich auch.
Jedes Jahr im Frühjahr hat der Bauer uns ne Karre Sand gebracht.
Hellen weißen Sand.
Und da haben wir drin gearbeitet.
Straßen angelegt, Wege und sowas.
Mit Wasser auch.
Das sah manchmal ganz wild aus.
Wir hatten einen großen Garten.
Für uns war das ein Kinderspielplatz.

Leidenschaften

Von Josefa Sumkötter

Was meine Leidenschaft ist oder war, ich bin ja jetzt schon älter, ist tanzen.
Ich tanze zwar jetzt nicht mehr so viel wie vor Jahren, aber Tanzen war eine meiner Leidenschaften und auch Singen.
Ich merke manchmal, wenn ich Musik höre und so richtig loslegen möchte, dass ich mich selber bremse.
Ich hab schrecklich gern alleine getanzt.
Wenn ich Musik hörte, entweder hab ich gesungen oder getanzt.

Vergessen I

von Annetraud Frerich

Man kann getrost vergessen, wenn jemand gelogen hat.
Man kann getrost vergessen, wenn jemand angibt.
Man kann getrost vergessen, wenn jemand lügt.
Den Krieg, den Streit, was stinkt.
Man kann getrost vergessen, Unehrlichkeit, die Dunkelheit, was schief ist

Nie vergessen möchte ich die Familie.
Kinder, den Ehepartner, die Geschwister.
Nie vergessen möchte ich den besonderen Menschen.
Die Eltern, die Kinder, die Geschwister.
Nie vergessen möchte ich die Freunde, den Urlaub, den Strand, das Gebirge, den Nachbar,
Habe ich geliebt, den Strand an der Ostsee.

Goldstück

Von Juliane Birwe

Es war einmal ein Mann.
Der hatte immer seine Frau dabei.
Er nannte sie immer Goldstück.
Zu mir hat nie einer Goldstück gesagt.
Deshalb weiß ich nicht, wie sich das anfühlt.
Mich hat nie jemand liebkosend genannt.
Ich war immer Juliane.
Nichts anderes.
Wir waren immer so bodenständig.
Aber ich fand es okay.

Freude früher und heute

Von Annette Johannpaschedag

Freude hat die Farbe Rot.
Freude sieht aus wie eine schöne rote Rose.
Blumen, liebe ich, auch Gerbera. Gartenarbeit.
Blumen, das ist eigentlich meine Freude.

Freude hört sich an die Musik, wie Volksmusik.
Zu unserer Zeit gab's ja auch gar nichts anderes.

Freude fühlt sich an wie eine schöne Blume, auch wie eine Rose.

Freude schmeckt wie Süßigkeiten.
Damals gab's doch nichts.
Da wurden Bonbons selbstgemacht.
Bisschen Zucker in die Pfanne, Butter, rühren, kaputtstoßen.
Kaufen konnten sie doch nichts im Krieg.

Freude riecht wie Rosen oder Dahlien.

Freude kann man mit Blumen vergleichen.

Schlechte Erinnerungen oder was ich im Leben erlebt habe

Von Albin Kinat

Nur Schlechtes alles habe ich erlebt.
Bin als Waisenkind aufgewachsen.
Die Mutter ist mit 53 gestorben.

Und dann war ich in Gefangenschaft gewesen noch.
Im Arbeitslager.
Neun Jahre.
Das kann man sich kaum vorstellen, so schlimm war das.

Und später habe ich müssen bei den Polen in den Wald gehen und Äste sammeln.
Alte Leute mussten Besen machen.

Und ich hatte ne Tätigkeit beim Landwirt.
Arbeiten mit Pferden und so.
Schon in jungen Jahren war ich Knecht.
Musste früh morgens aufstehen.
Um Viertel 5 zum Füttern.