Wie sollen wir in Herzebrock-Clarholz in Zukunft damit umgehen, wenn neuere historische Erkenntnisse zeigen, dass Menschen, denen eine Straße in der Kommune gewidmet worden ist, doch nicht so lobenswert sind, wie ursprünglich gedacht?
Sollen die Straßen umbenannt werden oder „nur“ mit einem Vermerk am Straßenschild versehen werden?
Dieser Frage geht aktuell der Rat der Gemeinde Herzebrock-Clarholz nach. Im Speziellen geht es um die Wagenfeldstraße im Ortsteil Herzebrock. Diese wurde in den 60er Jahren nach dem westfälischen Mundartschriftsteller Karl Wagenfeld benannt.
Im vergangenen Jahr beantrage der Heimatverein Herzebrock zunächst die vorhandenen Straßennamenschilder an der Wagenfeldstraße in Herzebrock aufgrund der Rolle Karl Wagenfelds als „aktive Stütze des nationalsozialistischen Regimes“ um einen Hinweis zu ergänzen. Der Heimatverein wollte damit die Diskussion zu dem Thema anstoßen.
Anfang diesen Jahres wurde dann im Ausschuss für Schule, Sport, Kultur und Städtepartnerschaften einstimmig entschieden, dass die Straße von „Karl“ auf „Wilhelm Wagenfeld“ lediglich umgewidmet und ein Zusatzschild angebracht werden soll.
Es fand ein Gespräch des Heimatvereins Herzebrock mit der Ausschussvorsitzenden Gisela Ginten-Hoffmann, dem Bürgermeister Marco Diethelm und dem Fachbereichsleiter Wilhelm Towara statt, hier ging es unter anderem um die Gestaltung des Schildes, welches an das umgewidmete Straßenschild angebracht werden sollte.
Die nachgegangen Diskussionen in Herzebrock-Clarholz und in anderen Kommunen hat beim Heimatverein Herzebrock danach aber zu weiteren und differenzierenden Überlegungen geführt, heißt es nun im neuen Antrag. Dieser hat das Thema nun erneut auf die Agenda des Ausschusses geholt. In dem neuen Antrag des Heimatvereins heißt es: „Unser Vorschlag, ein Zusatzschild anzubringen, sollte zunächst Anstoß zu einer notwendigen Debatte sein. Wagenfeld war eben nicht nur Heimatforscher und niederdeutscher Dichter, sondern überzeugter Nationalsozialist und regionaler Vordenker der menschenverachtenden Rassenideologie.“ Dies wäre schwer auf einem Straßenschild herauszustellen. Es löse auch nicht den Konflikt, dass Straßennamen, die Personen benennen, würdigenden und ehrenden Charakter haben sollen.
Für den Heimatverein Herzebrock sei die „Umwidmung“ für den Produktdesigner Wilhelm Wagenfeld eine einfache und schnelle Lösung mit dem geringsten Aufwand und dem geringsten Diskussionspotential. Aber so würde eine „vertiefende und nachhaltige Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema“ gar nicht stattfinden.
Dem Heimatverein Herzebrock ist eine Umwidmung nicht genug
Der Heimatverein regt in dem erneuten Antrag nun an, die Wagenfeldstraße umzubenennen und nach der Familie von Arthur Weinberg in „Weinbergstraße“ oder „Familie-Weinberg-Straße“ umzubenennen. Die Familie sei die letzte von zehn jüdischen Familien in Herzebrock gewesen. Sie wurde am 31. März 1942 zum „Arbeitseinsatz“ in den Osten deportiert, wo Arthur Weinberg, seine Ehefrau Käthe und sein Sohn Hans-Robert ermordet worden sind.
In der Ausschusssitzung am vergangenen Mittwoch sollte nun über den Antrag entschieden werden. Die Archivarin der Gemeinde Herzebrock-Clarholz, Nicole Kockentiedt, gab einen vertiefenden Einblick zu Karl Wagenfeld und seinem Handeln.
Zusammenfassend lässt sich hier sagen: Karl Wagenfeld wurde 1869 in Lüdinghausen geboren und verstarb 1939 in Münster. Er verfasste zahlreiche literarische Werke in plattdeutscher Sprache und war eine der treibenden Kräfte beim Aufbau des Westfälischen Heimatbundes. Er trat 1933 aus tiefer Überzeugung in die NSDAP ein, betrachtete sich mit seiner Arbeit für den Westfälischen Heimatbundes gewissermaßen als Vorreiter des Nationalsozialismus. Dies tat er auch öffentlich im Radio kund. Es ist davon auszugehen, dass er mit dieser Haltung zahlreiche Heimatforschende und Heimatvereine beeinflusste. Er unterstützte den Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam auf regionaler Ebene. Für seine Verdienste im Westfälischen Heimatbundes zeichneten die Nazis ihn noch zu Lebzeiten mit Preisen aus.
In den vergangenen Jahrzehnten haben viele Städte und Gemeinden die „Karl-Wagenfeld-Straße“ aufgrund seiner Befürwortung des NS-Regimes getilgt und umbenannt. Andere haben sich gegen eine Umbenennung ausgesprochen und stattdessen erläuternde Ergänzungen der Straßenschilder vorgeschlagen.
In Herzebrock-Clarholz ist es auch ein Sonderfall, da die Straße nicht „Karl-Wagenfeld-Straße“, sondern nur Wagenfeldstraße heißt. Daher wäre hier auch eine Umwidmung auf Wilhelm Wagenfeld möglich, ein deutscher Produktdesigner, der von 1900 bis 1990 lebte.
Entscheidung zum Antrag des Heimatvereines wurde vertagt
Die Ausschussmitglieder waren am Mittwoch der Meinung, dass sie auf der Grundlage der vorliegenden Informationen nicht über die Lage entscheiden könnten. Sie äußerten die Bedenken, dass nach der Entscheidung in Zukunft wahrscheinlich noch weitere Straßennamen eine genauere Betrachtung nach sich ziehen würden.
Die Auswirkung auf die Bewohner der Straße sollte ebenfalls berücksichtig werden. Mit einem reinen Nachsendeantrag ist es hier auch nicht getan. Mit der neuen Adresse müssten auch neue Dokumente erstellt werden, wie ein neuer Personalausweis, Karten bei Katasteramt. Es würde auch eine gewisse Zeit dauern, bis alle Navigationssysteme die neue Straße in der Datenbank erfasst hätten, da nicht alle Geräte automatisch Updates bekommen. Die Gemeinde würde hier vermutlich die monetären Kosten übernehmen können, aber nicht den zeitlichen Aufwand der Bewohner entschädigen können.
Die Entscheidung über den Antrag wurde daraufhin vertagt und die Archivarin hat die Aufgabe bekommen einen Kriterienkatalog des Städtebundes aufzubereiten und der Politik an die Hand zu geben. Auf dieser Grundlage sollen die Fraktionen dann grundsätzlich entscheiden, wie mit fragwürdigen Straßennamen umgegangen werden soll. Nach dieser Entscheidung kann dann auch über den Antrag des Heimatvereines entscheiden werden.
Nicole Kockentiedt erklärte, dass auch auf Grundlage der Handlungsempfehlung jede Entscheidung eine Einzelfallentscheidung wäre, aber anhand der vorher festgelegten Faktoren, die Entscheidung einfacher fallen würde.
Was meint Ihr?
Soll die Gemeinde aus der Geschichte lernen, Konsequenzen ziehen und die Straßennamen von Menschen mit einer nachweißlich negativen Vergangenheit umbenennen, mit all seinen Auswirkungen.
Oder reicht es aus in diesem Fall die Straße „nur“ umzuwidmen auf Wilhelm Wagenfeld mit einem Hinweis?